W E Y E R
Oberlahn

Mozartbild

Gewidmet

„MGV Eintracht“ Weyer

im Mai 1956

Weyer – MGV „Eintracht"

Vieles ist den beiden südlichsten Orten des Kreises gemeinsam: sowohl Weyer als auch Münster liegen am munteren Laubusbach, haben eine wechselvolle Geschichte, die man fast 1400 Jahre zurück verfolgen kann, eine annähernd gleichgeartete soziologische Struktur, zwei Gesangvereine, die beide 1842 gegründet wurden, und mit Paul Becker aus Wolfenhausen einen versierten Dirigenten. Die Aufzählung gleichlautender Fakten ließe sich beliebig fortsetzen – nennen wir letztlich die Tatsache, dass sich während der zwanziger Jahre in beiden Gemeinden ein Arbeitergesangverein neben dem bereits bestehenden Chor bildete und nach der verfügten Auflösung die Mehrzahl der Sänger sich dem älteren Ortsverein wieder oder neu anschloss. Eine besonders schöne Geste: Nicht nur das gesamte Vereinsvermögen des Arbeitergesangvereins floss der „Eintracht" zu – mit Arthur Zanner kam auch zum richtigen Zeitpunkt ein umsichtiger Dirigent, der das Erbe des überaus verdienten Lehrer-Dirigenten Otto Dänner, der über 25 Jahre lang den Dirigentenstab führte, übernahm und dem Verein bis zum Kriegsausbruch die Treue hielt. Für eine kurze Zeit hatte ein ausgebildeter Sänger, Jakob Säbel aus Oberbrechen, den Chor geführt.

Die Schulchronik gibt Auskunft über die Entstehungszeit: „Am 18. Dezember 1842 bildete sich ein aus 45 Mitgliedern bestehender Singverein. Die Leitung übernahm Lehrer Seelbach.“ Achtzehn Jahre schweigt der Chronist, um dann aber neben dem oftmaligen Dirigentenwechsel auch für den Verein sicherlich einen Höhepunkt zu erwähnen: Die Sänger nehmen, vereinigt in einem Massenchor des Lahn- und Rheinsängerbundes, teil an einem Begrüßungssingen in Ems zu Ehren des preußischen Königs Wilhelm I. Getragen von der Welle hoher Begeisterung für die in den siebziger Jahren entstehenden Kriegervereine bildete sich innerhalb des Vereins in Weyer erstmals ein Konkurrenzverein; die Bestrebungen aber, beide wieder zu vereinen, waren stärker als nationalistischer Gedankenflug: 1878 singt man wiederum vereint, und 1890 feiert der Verein in einem harmonischen Fest seine zweite Fahnenweihe. Über die vielen Familienzwistigkeiten im Orte hinweg war ein starkes, einigendes Band durch den Chor entstanden – fünfzig aktive Sänger waren stolze Mitglieder der Eintracht. So schreibt August Schmidt zu seiner Zusammenfassung der Vereinsgeschichte bis zum Jahre 1928 zu Recht: „ein im Lied, Treu im Wort, Eintracht immerfort.“

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Nach dem zweiten Weltkrieg waren es der Männergesangverein und der Sportverein, die das Gemeinschaftsleben im Dorfe wieder stärker in den Vordergrund stellten. So zählte die „Eintracht" am 25. Januar 1948 einundsechzig Aktive – ein bisher in Weyer nicht wieder erreichter Rekord!

Den bislang bedeutungsvollsten Höhepunkt erreichte der Chor aber zu Beginn der fünfziger Jahre: Drei Chöre der Chorgemeinschaft Becker („Eintracht-Frohsinn“ Aumenau, „Liederkranz Vorwärts" Wolfenhausen und die „Eintrachtler") sind am 16. Juni 1951 beim ersten Bundessängerfest in Frankfurt mit einem Programm „Das Neue Chorlied“ auf dem Messegelände beteiligt. Die fünf Sätze, in langwierigen, aber für jeden Sänger weiterbildenden Proben systematisch erarbeitet, gehören noch heute, anderthalb Jahrzehnte nach der Aufführung, zu den bekannt schwierigen, anspruchsvollen Werken, deren Wiedergabe nicht jedem Chor ermöglicht wird – denken wir beispielsweise an die besonders einprägsame und stilistisch hervorragende Silesius-Motette von W. Sendt oder Kurt Lißmanns „Psalm der Arbeit“. Es gab stürmischen Applaus für die Interpreten und persönlichen Dank des anwesenden Komponisten.

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Im Orte selbst stand die Möglichkeit der Entfaltung bis dahin nicht im richtigen Verhältnis zur aufgewandten Energie: Es fehlte an geeigneten Räumlichkeiten für Feste und Aufführungen. Die Diskussionen um das Projekt „Festhalle“ waren hart – sie wurden in jedes Haus getragen, es sollte ein Gemeinschaftswerk werden. Am Ende eines wahrhaft dornenreichen Weges standen dann die Volkshalle und eine mehrklassige Volksschule zugleich. Unter der damaligen Amtsführung von Bürgermeister August Heil war der Tag der Einweihung 1953 ein glanzvoller Tag.

Aus vorgenannten Gründen wurden auch die längst fälligen Feierlichkeiten (1942!) für den Männergesangverein verschoben: zu Pfingsten 1954 wurde das 110-jährige Jubiläum in Verbindung mit einem Heimatfest gebührend gefeiert. Drei Jahre später, nach entsprechender Vorbereitung durch den Vorstand, nimmt man aus der Hand des Bundespräsidenten die Zelterplakette entgegen.

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Bis 1954 hatte man vom Verein aus auch regelmäßig Laienspiel betrieben. Es gab imponierende Aufführungen von „Via Mala“, „Der Strom“ und mehrmals „Kabale und Liebe“. Durch den Bau der Volkshalle ist das Theaterspiel schließlich eingestellt worden – heute sind die Landesbühnen Rhein-Main und Rheinland-Pfalz regelmäßig zu Gast. Die besonderen Verdienste um das kulturelle Geschehen in Weyer von Oberstudienrat Fritz Werner seien auch an dieser Stelle lobend hervorgehoben. Seit vielen Jahren leitet Frl. Gretchen Werner einen Mädchenchor, der sich in vorbildlicher Weise dem Dorf und seinen Einwohnern in vielen Belangen zur Verfügung stellt – nicht zuletzt beim Abschiedslied für verstorbene Gemeindemitglieder.

Wie in fast allen Gesangvereinen war auch in den fünfziger Jahren ein Rückgang in der Zahl der Aktiven bei der „Eintracht" zu verzeichnen. Vor allem fehlen dem Chor jüngere Stimmen. Das Durchschnittsalter liegt nach einer Schätzung bei etwa 40 Jahren. Die neununddreißig Aktiven singen verteilt auf die einzelnen Stimmgruppen neun erste, elf zweite Tenöre, zehn erste, neun zweite Bässe. Uns imponierte die Ausgeglichenheit innerhalb der einzelnen Gruppen im zweiten Tenor und ersten Bass am meisten, während der zweite Bass eine Verstärkung in Quantität und Qualität erfahren könnte. Paul Becker gibt seinen Sängern aber dort, wo es notwendig ist, die Hilfestellung, schwierige Intervallsprünge, so beim „Hederitt“ von H. Blaß, zu überbrücken. Unserer Frage nach dem Interesse an zeitgenössischem Liedgut wurde spontane Beantwortung zuteil: Wenn sich selbst die älteren Sänger (Paul Becker, 69, I. Vorsitzender Albert Thorn, 63) bei der Wahl eines üblichen Ständchens Gotovacs „Gebet“ wünschen, das in seinen oftmals schwierigen harmonischen Wendungen schon anspruchsvolle Gehörschulung voraussetzt, ist das lebendiges Zeugnis und Bekenntnis zur Gegenwart.
Die Jüngsten im Sängerkreis sind Rudi Duil (23) und Gerhard Weidl (25). Otto Ebel singt mit seinen beiden Söhnen Friedhelm und Adolf (zur Zeit bei der Bundeswehr) zu dritt, Werner und Alfred Datum sind Brüder. Neben Albert Thorn sind Eugen Lohr (II. Vorsitzender), Otto Martin (Kassierer) und Hermann Jost (Schriftführer) im Vorstand. Neben den obligatorischen Auftritten innerhalb der Chorgemeinschaft Becker, so am „Tag des deutschen Liedes", folgen jährliche Herbstkonzerte, Gesang zur Konfirmation, Maifeier (so bei der diesjährigen Feier der Bezirksverwaltung Limburg-Oberlahn in der Volkshalle) und Volkstrauertag. Den Karneval bzw. einen Familienabend begeht man in schöner Eintracht entweder mit allen Vereinen oder dem Sportverein. An Wertungssingen und Kreischorkonzerten nahm man bisher regelmäßig teil; es bestehen freundschaftliche Beziehungen zur „Liedertafel“ Solingen und „Concordia“ Hamborn. Beide Chöre waren bereits zu Gast in Weyer, 1956 war man selbst in Solingen. Drei Sänger haben die Nadel für 40 jährige Treue: Paul Becker, Adolf Ebel und Otto Hepp. Otto Lehr ist seit 1962 Ehrenvorsitzender (er leitete 25 Jahre wie einst Lehrer Dänner als Dirigent den Vereins Vorsitz). Ehrenmitglied Otto Datum, pens. Lehrer (Weyer), bringt seine musikalischen Fähigkeiten zu Papier und schenkt sie dann dem Männergesangverein – kleinere Zuwendungen gibt es sonst bei Jubiläen oder festlichen Anlässen durch aktive oder passive Vereinsmitglieder. Die Gemeinde hat bisher keinen Zuschuss gegeben.

Wie anstrengend die Proben bei Paul Becker sind, möge aus diesem abschließenden Beispiel hervorgehen: Hungrig nach einem zweistündigen „Intervall-Training“, wurde ein Sänger-Metzger nach Hause geschickt. Der gut sieben-pfündige Presskopf verschwand nach seiner Zerlegung auf dem Klavier vollständig. Sollte das Klavier noch 76 Jahre halten, können die Urenkel von derzeitigen Aktiven bei der 200-Jahr-Feier die Einschnitte auf der linken oberen Seite als Beleg betrachten! 

aus: Sang und Klang an der Oberlahn, herausg. von der Nassauischen Landeszeitung, 1967, S. 143–145

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