Wilhelm
W E Y E R

Zeitschriften-Artikel
aus:
Westfalenpost/Siegerländer Zeitung Jg. 4, Nr. 45 v. 16.04.1949

Ein echter Siegerländer:
Wilhelm Stahl, Dreis-Tiefenbach †
Von Wilhelm Weyer

siehe auch:

Zeitschriften-Artikel
aus:
Westfalenpost/Siegerländer Zeitung Jg. 4, Nr. 45 v. 16.04.1949

Mit dem im 74. Lebensjahre heimgegangenen Hauptlehrer Wilhelm Stahl hat das Dorf eine markante Persönlichkeit verloren. Er war 1875 als einziger Sohn des Bauern und Maurermeisters Wilhelm Stahl geboren, hatte aber nicht dessen Beruf ergriffen, sondern war Lehrer geworden, zunächst im Industriegebiet, und wäre wohl auch von diesem wie die Unzahl der dorthin strömenden Menschen ländlichen Ursprungs „eingeschmolzen" worden, wenn er nicht nach dem frühen Tod seiner Frau in die Heimat zurückgekehrt wäre.

Hier übernahm er bald die Nachfolge seines alten Lehrers, des Hauptlehrers Stutte, in der Schulleitung. Pädagogisch gehörte er der Herbartschen Schule an und setzte in Dreisbach in ihrem Geiste das Werk Stuttes fort, der einer der hervorragenden Herbartianer des Siegerlandes war und dessen Schule in bestem Rufe stand. Alle, die zu seinen Füßen gesessen haben, danken ihm für das solide und umfangreiche Wissen, das er ihnen vermittelt hat. Der Religionsunterricht war klar aufgebaut und seine Stoffe, biblische Geschichte, Sprüche, Lieder, Katechismus und Kirchengeschichte, in ein wohl abgewogenes System gebracht. Er hat den Schülern entscheidende Eindrücke vermittelt und eine Menge von Liedern und Bibelsprüchen eingeprägt, die ihnen in schweren Lagen lebendig geworden sind. Die Heimatkunde war bei Stahl in besten Händen, konnte er doch als Dreisbacher Kind den Schülern die unmittelbare Heimat, das dörfliche Leben, in einer Weise nahebringen, wie es kein anderer vermocht hätte.

Hierbei kam ihm seine bäuerliche Betätigung besonders zustatten. Nach seiner Heimkehr betrieb er die väterliche Landwirtschaft und befruchtete den Unterricht mit seinen landwirtschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen und gab ihm so die immer geforderte Lebensnähe, das Geistige mit dem Praktischen verbindend. An den schulfreien Nachmittagen und in den Ferien sah man ihn pflügen, säen, mähen, Mist und Jauche fahren, im Hauberg arbeiten. Dabei „verbauerte“ er keineswegs, sondern blieb aufgeschlossen für alles Nützliche und Schöne. Die Dorfgenossen hatten alle Vertrauen diesem Lehrer, der außerhalb der Schule, bei der Arbeit, ihresgleichen war, der ihnen aber

er bald in das öffentliche Lebender Gemeinde gezogen wurde. Fast ein Jahrzehnt war er Haubergvorsteher und hat den Raubbau während des Krieges auf ein Mindestmaß u beschränken versucht und Aufforstung und Siedlungsmaßnahmen in vernünftigen Bahnen gehalten. Seine Naturverbundenheit fand im S G V, dessen Dreis-Tiefenbacher Ortsgruppe er über 30 Jahre geleitet hat, reiche Betätigung. Die Bezeichnung der Wanderstrecken, die Aufstellung von Ruhebänken, die Schaffung von Laubgängen an den Haubergswegen sind sein Werk. In aller Stille wirkte er fast zwei Jahrzehnte als Presbyter des Kirchspiels Netphen und dann als Rechner der Kirchengemeinde Dreis-Tiefenbach und hat als solcher manche Sorge um den Bau der Kirche allein getragen und die Kasse später im Gleichgewicht gehalten Nur wenige kennen diese Arbeit.

Mit Hauptlehrer Stahl ist ein Stück Siegerländer Wesens, ein Stück Alt-Dreisbachs dahingegangen. Das Dorf wird in steigendem Maße in den Prozeß der Industrialisierung hineingezogen, mit der die gesunde bäuerliche Grundlage des Lebens langsam versinkt. Die Dreisbacher sind schon zum großen Teil verstädtert. Wilhelm Stahl verkörperte den dem Heimatboden verwurzelten Menschen und bewies durch sein Leben, daß man Bauer und gleichzeitig auch geistiger Arbeiter sein kann.
Dr. W.

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